Sunday, January 6, 2013

kurt tucholsky, 1930

Vom Kurt Tucholsky, veröffentlicht in "Die Weltbühne" 1930, treffend wie 2008 2012 zusammen :-)

bildquelle: wikipedia


Wenn die Börsenkurse fallen,
regt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.

Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen - echt famos!

Leichter noch bei solchen Taten
tun sie sich mit Derivaten:
Wenn Papier den Wert frisiert,
wird die Wirkung potenziert.

Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.

Trifft's hingegen große Banken,
kommt die ganze Welt ins Wanken -
auch die Spekulantenbrut
zittert jetzt um Hab und Gut!

Soll man das System gefährden?
Da muss eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat,
die Verluste kauft der Staat.

Dazu braucht der Staat Kredite,
und das bringt erneut Profite,
hat man doch in jenem Land
die Regierung in der Hand.

Für die Zechen dieser Frechen
hat der Kleine Mann zu blechen
und - das ist das Feine ja -
nicht nur in Amerika!

Und wenn Kurse wieder steigen,
fängt von vorne an der Reigen -
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.

Aber sollten sich die Massen
das mal nimmer bieten lassen,
ist der Ausweg längst bedacht:
Dann wird bisschen Krieg gemacht.

~~~
das alles noch einmal vom nemo babelfish vertont: HIER (audio song)

hmmm, was könnte man dagegen tun, meine lieben? klar doch, Я Ξ √ Ω L U T ↑ ☼ N ♥

Und hier noch paar Kurt Tucholsky Zitate:
  • Toleranz ist der Verdacht, dass der andere Recht hat.
  • Die Basis einer gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb.
  • Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger.
  • Die meisten Antisemiten sagen viel mehr über sich selbst aus als über ihren Gegner, den sie nicht kennen.
~~~

man(n) möchte fast nicht glauben, daß dies 1930 und nicht 2008 oder 2012 entstanden ist, stimmt's? am mittwoch findet in münchen im toberaum eine kleine (private) veranstaltung anlässlich seines geburtstags mit vorlesen seiner gedichte + äthiopischem essen statt, kommt jemand mit? omg, ich habe bei der lesung erfahren, daß das obere bankengedicht gar nicht von tucholsky stammt (sondern vom friedhelm greis), sondern nur als solches im internet kursiert .... na ja, egal, das gedicht ist spitze trotzdem :-)

3 comments:

Unknown said...

Ändere niemals ein laufendes System. Ganz gleich wie lange es läuft!

Es ist doch im Grunde widerwärtig, dass immer noch geglaubt wird, wir hätten ein modernes Wirtschaftsystem.

jaro gruber said...

... ja, unseres system ist nur für die finanzmafia lukrativ (zentralbanken + lobbysierende großkonzerne), für den rest eher ein trauerspiel ...

allein wenn wir bedenken, wie wahnsinnig viel steuergeld für waffen, kriege, bankensubventionen, agrarindustriesubventionen, atomwirtschaft usw verschwendet wird, da könnte man längst ein gutes leben für alle (mensch + natur) sicherstellen ...

es fehlt aber noch die kritische masse, die eine solche veränderung in die wege leiten könnte. aber ich hoffe noch immer, daß wir es mit der OccupyWallStreet und ähnlichen bewegungen doch noch irgendwie schaffen werden :-)

Unknown said...

Immer gespräch bleiben heisst die Devise. Eine Änderung des Wirtschaftssystems (bzw. Finanzsystems) ist schon in etwa mit einer Art Bewusstseinssprung zu vergleichen. Und der braucht in erster Linie Zeit und angagierte "Kinderbetreuer". ;)

Mit dem Umdenken in Beziehung zur Natur ist es auch ein wenig geglückt. Es gibt also keinen grund pessimistisch zu sein. Ich hoffe nur immer, das Umdenken erfolgt bevor die Katastrophe kommt. Aber das, so lehrt das Umweltbewusstsein, ist wohl nicht drin.