Es gibt Momente, wo man über Sinn und Unsinn, die Welt und unser Tun hier und jetzt nachdenken möchte. Wie auch immer, die Zeit wird mit Sicherheit alle Momente, die schönen, die nicht so schönen und auch die ganz normalen in die Kategorie Geschichte bzw. Erinnerung befördern ...
Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack...
Die Zeit schreitet unbeirrt voran. Keine einzige Sekunde kann zurückgeholt werden. Sobald sich der Zeiger bewegt hat, ist auch der schönste Moment unweigerlich Teil der Vergangenheit und somit verdammt dazu, lediglich als Erinnerung fortzubestehen. Und selbst dann verändern wir ihn ungewollt immer mal wieder und sorgen so dafür, dass das wahre Erleben niemals zurückkehren wird. Was bleibt, ist ein Konstrukt, das wir unsere Geschichte nennen. Ein Aneinanderketten unterschiedlich eingefärbter Erlebnisperlen.
Manche von uns schmücken sich mit dieser Kette und zeigen offen, was sie ausmacht. Sie betrachten ihre Erlebnisse als Geschenk und definieren sich darüber. Und letztlich tun wir das wohl alle. Ob wir wollen oder nicht. Immerhin ist es auch gar nicht möglich, es nicht zu tun. Denn wie wollen wir wissen, wer oder was wir sind, wenn nicht über all die Erfahrungen, die wir machten?
Wie Viele andere habe auch ich oft den Wunsch, auf die ‚Reset‘-Taste drücken und einen Neuanfang bekommen zu können. Zurück auf Werkeinstellung. Doch was würde das verändern? Wie viele weitere Stellschrauben müssten verändert werden, damit am Ende eine andere Wolkentänzerin dabei herauskäme?
Ich komme nicht umher, mich zu fragen, ob unsere Wege nicht bereits geebnet sind. Ob nicht längst feststeht, wohin wir uns bewegen werden. Denn letztlich treffen wir unsere heutigen Entscheidungen auf Basis unserer bisher gemachten Erfahrungen. Wir handeln nach Werten, die uns beigebracht wurden. Unser Weltbild unterliegt einer Ideologie, die wir in die Wiege gelegt bekamen. Wir agieren aus der Notwendigkeit heraus, als Teil dieser Gesellschaft überleben zu wollen. Dazu gehören eine gewisse Anpassung und der Glauben daran, dass all das einen Sinn ergibt. Wir glauben an die Idee eines Staates, an Geld und daran, dass unserem Leben als Spezies des ‚Homo sapiens sapiens‘ eine besondere Bedeutung zukommt. Ja, wir sind bemüht, unserer Existenz eine übergeordnete Wichtigkeit zu geben. Immerhin muss all die Mühe doch für etwas gut sein, nicht wahr?
Wir Menschen sind immer auf der Suche nach dem Glück. Sind getrieben von Selbstoptimierung und -verwirklichung. Die großen Denker dieser Welt haben unzählige Theorien und Empfehlungen entwickelt, die dem Menschen endlich die ersehnte Zufriedenheit ermöglichen sollen. Und auch die Religionen haben es sich auf die Fahnen geschrieben, die Erlösung der Seele zu ermöglichen. Naja, und wenn nicht zu Lebzeiten, dann eben in der Ewigkeit. Irgendwann wird es schon eintreten. Glaub nur fest daran.
Ich selbst habe lange daran geglaubt, dass es Gott gibt. Dass ich „nur“ die vorgeschriebenen Regeln einhalten muss und dadurch irgendwann Freiheit erlange. Dabei möchte ich an dieser Stelle von der Tatsache absehen, dass der Glaube in meinem Fall instrumentalisiert wurde, um mich bewusst klein und gefügig zu halten. Denn das ist wohl ein Thema an sich. Wobei die Toxizität des Gottesbildes, das ich von Geburt an kennenlernte, massiv zu meinem heutigen Unglauben beitrug. Ich finde einfach die Vorstellung, dass es da einen unsichtbaren Zuschauer gibt, der über uns steht und uns am Ende richten wird, gruselig. Vielleicht gab es in meinem Leben auch schlichtweg zu viele mächtige Wesen, die mir unermesslichen Schmerz zugefügt haben, sodass ich nun unfähig bin, das nochmal zuzulassen. Wer weiß.
Es heißt, jeder Mensch habe einen freien Willen. Jeder Mensch könne sich entscheiden. Jeder Mensch habe die Fähigkeit, Gutes oder Schlechtes zu tun. Doch inwiefern ist das denn überhaupt ein freier Wille, wenn die Definition dieser beiden Parameter fremdbestimmt ist? Wenn einem jeden Menschen von Geburt an eine Ideologie eingepflanzt wird, die die Welt zu dem formt, als das wir sie unser Leben lang sehen werden? Was ist daran denn bitte frei? Und was ist frei daran, gesellschaftlichen Zwängen zu unterliegen, von denen wir uns nicht ohne Weiteres lossagen können?
Mir wird oft gesagt, ich solle nach vorne schauen. Solle mein Leben in die Hand nehmen und tun, was ich will. Solle die Fesseln zerschlagen, die noch immer in meinen Gedanken existieren. Dabei vergessen die Menschen oft, dass wir alle solche Fesseln im Gehirn haben. Dass wir alle Gedankengut in uns tragen, das wir nur mit großem Energieaufwand angehen können. Und selbst dann ist fraglich, ob wir es loswerden können. Mein beliebtestes Beispiel ist das, des Fleischverzehrs. Uns ist beigebracht worden, dass es sowohl moralisch als auch ethisch vollkommen korrekt ist, Tiere zu töten und sie zu essen. Uns wird gesagt, dass es sogar eine evolutionäre Notwendigkeit ist und alles andere unserer Gesundheit schade. Die Ideologie des Carnismus ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Dabei ist es letztlich ein Glaube, der uns eine Aktion ermöglicht, die wir mit unserem Gewissen vereinbaren können. Die wir vor uns rechtfertigen können. Wenn alle es tun, kann es schließlich auch nicht falsch sein, oder?
Ich wünsche mir, dass die Menschen endlich verstehen, dass es Gedanken und Überzeugungen gibt, die nicht einfach ablegbar sind. Dass es große Anstrengung und auch Schmerz bedeutet, sich den inneren Annahmen zu stellen. Dass ein Mensch nicht ‚einfach‘ nach vorne schauen und dadurch aus den inneren Gedankengefängnissen ausbrechen kann. Denn wenn ich dir, um ein simples Bild zu wählen, sage, dass stehlen nicht verwerflich ist, wirst du mich verwirrt anschauen. Du würdest denken, ich sei nicht ganz dicht. Du würdest mit mir diskutieren und deinen Standpunkt erläutern. Um dich vom Gegenteil zu überzeugen, bedürfe es viel Zeit, Geduld und eine Menge guter Argumente. Tja, und selbst, wenn es mir irgendwie gelingt, dich davon zu überzeugen, dass stehlen vollkommen in Ordnung ist, heißt das nicht, dass du dieser Meinung bleibst. Denn du hast es anders gelernt und es ist nicht mit deinem Weltbild vereinbar. Es erscheint dir trotz all meiner Mühe abwegig. Mal ganz abgesehen von deiner emotionalen Bewertung des Ganzen. Du verstehst sicher, worauf ich hinauswill. Es sei dazugesagt, dass es sich hier um eine vereinfachte Erklärung handelt. Am Ende ist das Ganze wahrscheinlich doch etwas komplexer.
Was ich damit letztlich sagen möchte, ist, dass ich keine Ahnung habe, was ich noch glauben soll. Ich sehe keinen Sinn in all den Ideologien, die diese Welt mir bietet. Keine Argumentation erscheint mir schlüssig. Es gibt keine Erklärung für all die Phänomene dieser Erde, die mich beschäftigen. Es ist mir nicht mehr möglich, dem Treiben auf unserem Planeten eine Sinnhaftigkeit zu geben. Und ja, ich habe es versucht. Ich habe all meine Kraft mobilisiert und bis zur Erschöpfung gekämpft. Einige hartnäckige Stimmen in meinem Kopf sind jedoch geblieben. Sie haben sich über all die Zeit manifestiert und mich von innen heraus vergiftet. Ich werde sie nicht los, was auch immer ich tue. Und wenn sie doch mal still sind, kehren sie nach einer Weile zurück und beginnen erneut, mich zu quälen. Diese Stimmen sind der Inbegriff der Dunkelheit. Sie nehmen mir die Luft zu atmen. Sie verhindern, dass ich mich öffnen kann. Sie haben mich im Griff.
In mir ist eine Art Traurigkeit, die ich nicht in Worte fassen kann. Es fühlt sich wie ein Abschied an. Als hätte ich etwas unbeschreiblich Wertvolles verloren. Und wohlmöglich stimmt das auch. Immerhin habe ich meine Hoffnung vergraben.
Ich wünsche mir nichts sehnlicher als mit dem, was aus mir gemacht wurde, leben zu können. Das Grauen und mich akzeptieren zu können. Doch ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich das noch Wirklichkeit werden lassen soll. Ich weiß nur, dass der Schmerz unerträglich geworden ist und mir jegliche Orientierung fehlt.
Wolkentänzerin
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